Die 10 Bergsteigergebote Luis Trenkers aus dem Jahr 1931 klingen zwar auf den ersten Blick altertümlich und kurios, haben aber heute noch immer eine gewisse Gültigkeit. Luis Trenkers Filme, Bücher und nicht zuletzt diese „Gebote“ waren eine der Grundlagen für das, was wir heute „Bergsteiger-Ethik“ nennen.
Entdeckt und bearbeitet von Johnny Bernreiter
1. Du sollst keine Bergfahrt unternehmen, der du nicht gewachsen bist; du musst dem Berg überlegen sein und nicht der Berg dir! Du sollst dir ein Ziel stecken, das deinem Können angepasst ist, du sollst aber auch, wenn es sein muss, auf das Ziel verzichten und zur rechten Zeit umkehren können. Du sollst dir Zeit lassen und nicht mit dem Minutenzeiger um die Wette laufen und Höchstleistungen aufstellen wollen. Du sollst nicht Gipfel fressen, sollst aber auch nicht der bergsteigerischen Tat in ihrer vielfältigen Form aus dem Wege gehen!
2. Du sollst jede Bergfahrt mit Kopf und Hand sorgfältig vorbereiten, einerlei, ob du allein, mit Freunden oder mit Führern gehst. Ein Unwissender oder Hilfloser am Gängelband einer alpinen Kindsmagd ist in den Bergen eine jämmerliche Gestalt. Dein geistiges Rüstzeug sei ebenso vollkommen wie deine alpine Ausrüstung. Mit der Umwelt, in der du dich bewegst, sollst du vertraut sein und sollst ihre Erscheinungen kennen und verstehen. Du sollst dir deinen alpinen Magen nicht überladen und nicht nur von Kaviar und Austern leben wollen. Dein bergsteigerisches Ideal soll es sein, auf einem Vorbergsmugel mit der gleichen Freude Bergsonntag feiern zu können, mit der du das nächste Mal die schwerste Felswand angehst. Du sollst mit gleich sicherem und vollendetem Können dort wandern und hier klettern. Du sollst nicht einer von denen werden, die vor lauter Felswänden den Berg nicht mehr sehen. Du sollst dem ehrlichen Fels kein unehrliches Eisen ohne Not in den Leib schlagen, nicht als Kletterer und nicht als Wegebauer. Du sollst endlich nicht vergessen, dass die Berge voll Gefahren sind, aber du sollst auch wissen, dass du mit Vorsicht, Umsicht und erfahrener Klugheit ihnen gewachsen sein kannst.
3. Du sollst in den Bergen deine Erziehung und Bildung nicht vergessen. Unart, Rauheit und Rohheit sind nicht dasselbe wie Freude und Kraft. Du sollst nicht vergessen, dass schon am Bahnhof und im Zuge berechtigte Ansprüche an bergsteigerische und sonstige Erziehung gestellt werden. Du kannst Gipfel stürmen, aber nicht Eisenbahnwagen; du sollst an Trittbrettern des fahrenden Zuges nicht beweisen wollen, dass du ein Teufelskerl bist, der gewohnt ist, auf handbreiten Felsleisten zu wandeln. Du sollst dein Seil und die Steigeisen nicht als Aushängeschild deiner Zunft betrachten. Du sollst mit deinem Gerät, Ski, Pickel, Eisen nicht deines nächsten Augen und Kleider bedrohen und auch nicht mit überlautem Geschwätz und Gelächter seine Ohren vergewaltigen. Den dir einsam Begegnenden grüsse oder danke ihm für seinen Gruss und mache abfällige Bemerkungen wenigstens erst dann, wenn er ausser Hörweite ist. Du musst nicht glauben, dass es zum guten Bergsteigerton gehört, eine Zunftsprache zu sprechen, die ihre gemischten Redensarten aus der Vorstadt und den Holzknechtshütten bezieht. Du brauchst dich auch nicht mit den Fingern zu schnäuzen und was dergleichen Wildwestgewohnheiten sind. Der Dichter hat es anders gemeint, wenn er singt: Auf den Bergen ist die Freiheit!
4. Du sollst die Gegend, die du durchwanderst, nicht verunehren, und sollst Gottes grosse Natur nicht mit Flaschenscherben, Eierschalen, Obstabfällen, Papierfetzen, Sardinenbüchsen und Unrat verschönern. Du sollst nicht vergessen, dass auch der nach dir Kommende aus der labenden Quelle trinken will, die du sorglos zu verunreinigen eben im Begriffe stehst. Du sollst die Wegweiser nicht als Wurfziele missbrauchen und sollst umgefallene Wegzeichen nicht „zum Spass“ in die falsche Richtung stellen. Du sollst kein „Gatter“ offen stehen lassen, denn du kannst damit fremdes Eigentum schwer schädigen und bringst das Bergsteigertum bei der Landbevölkerung in Missachtung. Daher sollst du auch über keine Einfriedung steigen, innerhalb der weder du noch dein Fusstritt erwünscht ist und sollst dich auch nicht in fremden Heustadeln und verschlossenen Almen ungebeten zu Gaste laden. Du sollst singen, wenn du es kannst und es mit Mass und zur rechten Zeit tun. Das Jodeln aber passt in den seltensten Fällen zu deiner Kehle und noch seltener zu den Hörorganen deiner Mitmenschen. Du sollst in den Bergen überhaupt nicht schreien und lärmen, denn Mensch und Tier leiden darunter. Du sollst leichtsinnig kein Feuer machen und das Kochfeuer im Freien und unter Dach sorgsam hüten und gut löschen. Du sollst keine Steine ablassen, weder absichtlich noch bei leichtfertigem Klettern, auch nicht nach vermeintlich unbetretenen Bergseiten, denn du kannst schweres Unheil anrichten. Du sollst endlich an begangenen Wegen und auf viel besuchten Gipfeln nicht Nackt- und Halbnacktkultur treiben, sollst aber Luft und Sonne geniessen, wo es nur immer geht. In der Nähe bewohnter Stätten aber befolge das, was unserer Kulturgewohnheit entspricht.
5. Du sollst die Bergkameradschaft in hohen Ehren halten! Bist du Führender, so sei nicht herrisch und eigensinnig, nicht überlegen triumphierend und nicht gnädig herablassend, sei rücksichtsvoll und geduldig und gib anderen von deinem geistigen und leiblichen Besitz gerne ab; das Können des Schwächsten sei der Massstab für deine Entschlüsse. Das Instichlassen eines Menschen in den Bergen kann Mord werden. Bist du der Geführte, so füge dich besserem Wissen und Können, gib selbst dein Bestes und versuche zu lernen, wo es nur immer geht. Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen, aber schon mancher vom Berg. Du kannst aber auch als der Schwächste der Partie deinen Mann stellen. Und darfst es ruhig wissen: Gute „Zweite“ sind ebenso selten wie gute „Erste“. Jeder Fremde, der sich mit dir in die Liebe zu deinen Bergen teilt, sei der Kamerad, doppelt nahe, wenn er in Not gerät oder irgendwelche Hilfe braucht und sei es auch nur ein Schluck aus deiner Feldflasche oder ein Blick in deine Karte. Auch in dem bezahlten Führer sollst du den Bergkameraden, den erfahrenen Freund sehen. Tritt ihm und seinesgleichen nicht herrisch und besserwissend gegenüber, tu‘ aber auch nicht so, als hättet ihr beide zeitlebens aus einem Napf gegessen.
6. Du sollst die Schutzhütte würdigen, als wäre es dein Haus und Heim. Du sollst dich bescheiden und keine Ansprüche stellen, die nur ein Hotel befriedigen kann. Du sollst nicht vergessen, dass dein Geldbeutel hier oben nichts zu sagen hat und dass wir vor den Bergen alle gleich sein sollen. Du sollst Eispickel, Ski, Regen, Nässe, Kälte, Eis, Schnee, Schmutz und wenn es geht, auch nicht den Schweiss in die Stuben tragen. Du sollst die Hütte nicht zur Kneipe herabwürdigen, denn sie ist Erholungs-, Rast- und Ruheort für alle Bergfahrer. Du sollst nicht sämtliche Bänke und Tische mit deinem Rucksack, Pickel, Proviant, Landkarten und Beinen belegen. Wenn du auch noch so jung bist, denke daran, dass auch in der grössten Hütte kein Platz ist für – ein „glücklich liebend Paar“. Du sollst Grammophone und Kellnerinnen in Ruhe lassen und auch die Gitarre nur dann berühren, wenn du etwas davon verstehst. Du sollst Hütten- und Tourenbuch nicht mit Prahlsprüchen, Randglossen und schlechten Gedichten verschmieren, sollst aber deinen Namen und das Woher und Wohin zuverlässig eintragen und sollst vor schweren Bergfahrten Nachricht hinterlassen, damit man dir im Falle der Not Hilfe bringen kann oder sich im anderen Fall nicht unnötig sorgt. Fels- und Hauswände sind keine Schreibgelegenheiten.
Du darfst deinen Schlafplatz ordnungsgemäss beanspruchen und kannst dir auch den besten aussuchen, wenn du eine Bergfahrt vor oder hinter dir hast, sollst dein Lager aber, wenn es sein muss, an Bedürftige (Erschöpfte, Kranke, Ältere) freudig abtreten. In Stiefeln sollst du nicht auf die Lagerstätten steigen und sollst nicht wie die wilde Jagd in Genagelten über die Stiegen fegen, namentlich nicht bei Nacht und Morgengrauen. Du sollst, wenn du ein elender Schnarcher bist, nicht den allgemeinen Schlafraum zu deiner Schlaf- und Schnarchstätte wählen. Mit Licht und Feuer geh‘ vorsichtig um in der Hütte! Du sollst nicht vergessen, dass du nicht der Herr und Besitzer der Hütte bist, sondern dass der Hüttenwirt der verantwortliche Verwalter einer der Allgemeinheit dienenden Einrichtung ist und dass du dich deinen Anordnungen fügen musst.
Du sollst jeden Ort und jedes Ding, die du benützt, in solchen Zustand hinterlassen, wie du selbst wünschest, sie anzutreffen. Namentlich in unbewirtschafteten Hütten sollst du noch mehr als sonst auf deine Mitmenschen, Hüttengenossen und Nachfolger Rücksicht nehmen und nicht vergessen, dass die Hütte und ihr Zubehör ein dir in gutem Glauben anvertrautes Gut ist. Du sollst mit dem oft mühsam herbeigeschleppten Holz sparsam umgehen und an die Nachfolgenden denken, sollst sauber und aufgeräumt die Hütte verlassen, sie sorgsam verschliessen und sollst auch nicht vergessen, ehrlich die Hütten- und Holzgebühren zu bezahlen.
7. Du sollst nicht stehlen! Sollst anderen nicht die Ruhe und den Bergfrieden stehlen und nicht die Einsamkeit und die Gipfelaussicht. Aber auch nicht Skistöcke, Skiriemen, Abseilschlinge, Mauerhaken, Markierungszeichen; auch nicht mühsam geerntetes Bergheu oder sorgsam bereitetes Holz; und auch nicht Blumen, die der liebe Gott für alle hat wachsen lassen, die aber trotzdem, wie Edelweiss und Alpenrose, Enzian und Kohlröserl, Türkenbund und Zirben usf., die Behörde durch Gesetze vor dem Raub durch deinesgleichen schützen muss. Du sollst überhaupt die Blumen und die Felder und die Bäume und das Gras schonen und auch das Vieh und das Wild nicht beunruhigen. Du sollst nicht Latschen und Bäume umhauen, weil du Holz brauchst oder mit dem Überschuss deiner Kraft nichts Besseres anzufangen weisst. Du sollst den Ameisenhaufen nicht zerstören, auch nicht aus „Wissensdrang“, und sollst in Schnecken, Blindschleichen und Fröschen nicht wilde Tiere sehen, die ausgerottet werden müssen. Du sollst die Berge als das Paradies betrachten, in das Gott dich Adam-Mensch gesetzt hat und sollst helfen, seine Ursprünglichkeit und Heiligkeit zu erhalten.
8. Du sollst nicht lügen, prahlen, aufschneiden! Auch die schwerste Bergfahrt ist ein Geringes, wenn du sie an anderen menschlichen Leistungen misst. Du sollst nicht anmassend sein und auch andere auf ihre Weise selig werden lassen, wenn es auch nur Jochbummler, Greise, alte Tanten, Anfänger oder Leute vom anderen Verein sind. Du sollst nicht fluchen und schimpfen, nicht aufs Wetter, Unterkunft, Mitmenschen oder Skibindung. Du sollst Politik und Polemik nicht in die Berge tragen. Du sollst Glaube, Sitte und Brauch des Bergvolkes nicht bewitzeln und bekritteln. Du sollst nicht vergessen, dass du nur Gast bist an des Bergvolks Stätten, in den Bergen – und auf dieser Welt.
9. Du sollst die Ehre deines Vereins wahren, nicht nur die des Vereins, dessen Zeichen du trägst, sondern auch die Ehre der grossen Gemeinschaft, die dir die Berge erschloss, die einer grossen Idee und nicht nur deiner Bequemlichkeit dient, die für die Allgemeinheit schafft und der anzugehören, an sich eine Ehre sein soll. Sei stolz, Teil dieses Ganzen zu sein und dieses Gut mit pflegen und verwalten zu dürfen. Und auch die darfst du ruhig ehren und kannst vor ihnen den Hut nehmen, die das geschaffen, dir das geschaffen haben, die Meister, die einst den ersten Weg zum Gipfel erkämpften und die Männer, die den letzten Stein in das Gebäude der Bergerschliessung einsetzten.
10. Du sollst die Berge nicht durch Rekordsucht entweihen, du sollst ihre Seele suchen!
Da kann ich voll dahinter stehen. Gerade das verunreinigen der Bergwelt sehe ich mit Besorgnis.
Wünsche alles viel Spass in den Bergen. Niki Huwyler
2 Replies to “Du sollst nicht…”